Derzeit wird eine neue Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt auf europäischer Ebene verhandelt. Damit ergibt sich endlich die Möglichkeit, den Grundsatz „Nein heißt Nein“ in der gesamten EU zu verankern. Doch dieses Vorhaben droht zur Nullnummer zu werden, denn u.a. der deutsche Justizminister Marco Buschmann (FDP) stimmte dafür, den Tatbestand der Vergewaltigung (Art. 5) aus dem Entwurf zu streichen.
In einem offenen Brief fordern nun der Deutsche Frauenrat, die European Women’s Lobby (EWL) und über 40 weitere Organisationen die deutsche Bundesregierung auf, ihre Position zu ändern und sich auf europäischer Ebene für die einheitliche strafrechtlichen Verfolgung von Vergewaltigung stark zu machen. Der LFR M-V schließt sich dieser Forderung ausdrücklich an.
An den Bundeskanzler, an den Bundesminister der Justiz, an die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, an die Bundesinnenministerin, an die Bundesaußenministerin, an den Bundesrat, […]
Berlin, 30. Oktober 2023
In der Europäischen Union steht die „Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ aktuell in den Trilog-Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament, Kommission und Rat. Am 9. Juni 2023 hat der Europäische Rat seine Position festgelegt, dabei kam es zu einer negativen Überraschung:
Die Mitgliedsstaaten – darunter auch die deutsche Bundesregierung – haben sich darauf geeinigt, den Artikel zu Vergewaltigung aus dem Kommissionsvorschlag zu streichen.
Das schockiert uns. Diese Richtlinie ist eine einzigartige und einmalige Möglichkeit, Vergewaltigung in der gesamten EU strafrechtlich zu verfolgen und (insbesondere) Frauen zu schützen. Das deutsche Recht stellt Vergewaltigung unter Strafe und hat dies in Übereinstimmung mit der sog. Istanbul-Konvention im Zuge der „Nein heißt Nein“-Reform jüngst noch gestärkt. Es sollte also kein Widerspruch sein, dasselbe in der Richtlinie zu unterstützen. Stattdessen beruft sich die Bundesregierung auf unionsrechtliche Bedenken. Sie gibt an, dass Vergewaltigung außerhalb des EU-Kompetenzrahmens stehe, obwohl „sexuelle Ausbeutung von Frauen“ explizit in Art. 83 (1) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union genannt wird. Wir sind daher der Auffassung, dass das Hauptgegenargument, welches ins Feld geführt wird, unhaltbar ist. Wir Frauen wissen nur zu gut, dass Vergewaltigung „sexuelle Ausbeutung“ ist (vgl. Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds).
Vergewaltigung ist eines der schwersten Verbrechen gegenüber Frauen. Deshalb ist es mehr als unverständlich, dass Deutschland nicht offensiv die Aufnahme der Vergewaltigung in diese Richtlinie fordert.
Wir erwarten, dass die Bundesregierung ihre Position offiziell ändert und aktiv fordert, dass Vergewaltigung als Tatbestand in das EU-Gewaltschutzpaket aufgenommen wird.
Deutschland muss sich Belgien, Griechenland, Italien und Luxemburg sowie der EU-Kommission anschließen, die sich aktiv dafür einsetzen, dass Vergewaltigung Teil des Paketes wird.
Auch der Bundesrat begrüßte bereits am 8. Juli 2022 ausdrücklich, „dass mit dem in Artikel 5 des Richtlinienvorschlags festgesteckten Rahmen für die Strafbarkeit einer Vergewaltigung ein umfassender Schutz des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung innerhalb der gesamten EU gewährleistet würde“ (Abs. 16, S. 5, Drucksache 131/22 (Beschluss).
Auf europäischer Ebene gibt es inzwischen rund 100.000 Unterstützer*innen, die fordern, Vergewaltigung in die neue Richtlinie aufzunehmen. Wir haben das federführende Bundesministerium der Justiz gemeinsam mit dem Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend von der Unterschriftenkampagne der größten Lobby der Frauen in Europa, der Europäischen Frauenlobby (EWL) in Kenntnis gesetzt und werden die Unterschriften demnächst überreichen.
Ein geschlechtsspezifisches Gewaltschutzpaket, das Vergewaltigung nicht thematisiert, ist kein Gewaltschutzpaket.
Wir erwarten, dass Deutschland hier voran geht und fordern auch Sie auf: Bekennen Sie sich zu einer gleichgestellten und gewaltfreien Gesellschaft.
Gezeichnet:
Dr. Beate von Miquel, Vorsitzende Deutscher Frauenrat
Marion Böker, Geschäftsführender Vorstand European Women’s Lobby, Vorstand International Alliance for Women
Lea Börgerding, Mitglied European Women’s Lobby – Observatory on Violence against Women
Der offene Brief mit allen weiteren Unterzeichner*innen
Foto: Martin Abegglen